Es muss nicht immer
ein Schäfer sein...



...oder: Ein Hund ist ein Hund ist ein Hund ist ein Hund!




Kürzlich fragte mich ein guter Freund, was ich eigentlich an meinen beiden Chihuahuas so schätze. Ich versuchte, es ihm zu erklären, beschrieb sämtliche Vorteile meiner Lieblinge: ihre rasche Auffassungsgabe, ihre Ausdruckskraft, ihre unglaubliche Fähigkeit, meine Stimmungen wahrzunehmen und sich ihnen anzupassen, und auch die praktischen Vorteile ihrer Chihuahua Robin Grösse... Ich redete mir die Seele aus dem Leib, doch es war vergebliche Liebesmüh'. Dieser Freund hörte mir zwar mehr oder weniger geduldig zu, doch zählt er sich zu der Sorte Menschen, für welche ein "richtiger" Hund ein "grosser" Hund ist - wobei er mir auch nicht genau sagen konnte, ab wann denn ein Hund ein grosser Hund sei. An jenem Abend ging ich nachdenklich nach Hause, und es blieb das Gefühl, dass ich trotz aller Versuche in meinen Erklärungen versagt hatte.


Historische Gründe

Ich vermute, die Vorstellung, dass ein Hund eine gewisse Grösse mit sich bringen muss, stammt noch aus der Zeit, als Hunde hauptsächlich zur Wach- und Hütearbeit eingesetzt wurden. Da zur Erfüllung dieser Arbeiten der Hund bestimmte physische Voraussetzungen mit sich bringen muss - unter anderem auch eine gewisse Grösse -, leuchtet es ein, dass kleinere Hunde zumindest belächelt, wenn nicht sogar mit einer gewissen Verachtung behandelt wurden. Dabei vergisst man allerdings, dass für viele andere Arbeiten speziell kleinere Hunde gezüchtet wurden, wie z.B. der Sheltie (viele kennen ihn als den "kleinen Collie"), welcher sich dank seiner Grösse bestens mitten in der grössten Schafherde bewegen kann - er kann nämlich im Gegensatz zu seinen grösseren Artgenossen einfach unter den Schafen durchschlüpfen. Oder der allseits beliebte Dackel, welcher gerade wegen seiner Grösse für die Fuchs-, Dachs- und Kaninchenjagd sehr geeignet ist.


Was macht einen Hund zu einem Hund?

Das Gespräch mit meinem Bekannten liess mir keine Ruhe, und ich machte mich daraufhin auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was macht einen Hund zu einem Hund? Mein erster Gang führte mich zu meinem Handlexikon in zwei Bänden. Dort fand ich unter "Hunde" folgende Erklärung: "weltweit verbreitete Raubtierfam., mit Füchsen, Wölfen, Schakalen u.a.; ausser den Füchsen gesell. lebend, ihre Beute hetzend; die Haus-H. stammen vom Wolf ab." Nun hatte ich zwar einen Hinweis auf eine äusserst wichtige Charaktereigenschaft des Hundes, nämlich seine Geselligkeit, doch genügte mir dies als Antwort noch nicht. In den nächsten Tagen begann ich, die unterschiedlichsten Meinungen aus meiner Umgebung zu sammeln; jeder schien dabei eine klare Vorstellung davon zu haben, was zu einem richtigen Hund gehörte. Demnach musste ein richtiger Hund gross sein (das hatten wir schon, ich weiss), aber andererseits musste er auch wieder klein sein, da er sonst zu gefährlich wäre und zuviel Dreck heranschleppen würde. Nach der Meinung einiger Leute sollte ein richtiger Hund auch dreckig sein, ja sich sogar richtiggehend im Dreck wälzen. Für andere wiederum gehörte zu einem richtigen Hund der Jagdtrieb, einige waren der Ansicht, dass zumindest ein Wachtrieb, wenn nicht sogar eine gewisse Aggression einen Hund erst zu einem solchen machte. Neben all diesen Eigenschaften müsste ein richtiger Hund auch noch kinderlieb, unerschrocken, intelligent, bellfreudig (aber keinesfalls ein Kläffer), zutraulich (immer mit der nötigen Distanz), gehorsam (aber bloss nicht unterwürfig!), aktiv und nicht nervös sein. Dieses Anforderungsprofil liesse sich ohne grössere Mühe noch weiterführen...


Ein Ding der Unmöglichkeit

...aber bereits eine Aufzählung der gängigsten Anforderungen reicht aus um klarzumachen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, all diesen Erwartungen gerecht zu werden. Wir neigen dazu, vom Hund die widersprüchlichsten Dinge vereint in einem einzigen Wesen zu verlangen und wundern uns dann, wenn er sich bestenfalls manchmal völlig anders verhält, als wir gehofft hatten, und schlimmstenfalls ein gestörtes Verhalten an den Tag legt. Und doch - und das ist vielleicht gerade das erstaunlichste an unseren Hunden - schaffen sie es beinahe immer, sich irgendwie mit uns zu arrangieren und unsere Wünsche zu erfüllen. Denn eines ist allen Hunden gemeinsam: ihr unglaublich sensibles Gespür für unsere Gefühle und ihre grossartige Teamfähigkeit. Mit sehr viel "Pfotenspitzengefühl" empfangen sie jede unserer Stimmungsschwankungen und reagieren darauf - und genau diese Eigenschaft, die in jedem unserer Hunde, ob klein oder gross, kurz oder lang, aggressiv oder lammfromm..., verankert ist, diese Eigenschaft macht für mich einen Hund zu einem Hund.


Shar Pei Troy

Verschiedene Berufe erfordern verschiedene Voraussetzungen...

Wenn ich mir die Haare schneiden lassen möchte, gehe ich zum Coiffeur, bei einem tropfenden Wasserhahn ist der Sanitär angesagt, und wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt. Jeder dieser Fachpersonen ist der/die richtige für den entsprechenden Job - es würde mir nie in den Sinn kommen, für einen Haarschnitt zu meinem Automechaniker zu gehen... Diese einfache Logik aus dem Alltag lässt sich ebenso gut auf unsere Hunde anwenden. Ich spreche damit nicht - und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen - die vielgepriesenen rassespezifischen Merkmale an (haben Sie sich übrigens schon mal geachtet? Praktisch jede Hunderasse wird als "freundlich, aber zurückhaltend gegenüber Fremden, gehorsam, wenn konsequent erzogen, intelligent, mutig, aufmerksam, sozial, bewegungsfreudig und wachsam" beschrieben - was nicht weiter erstaunlich ist, da alle diese Eigenschaften ihre Wurzel im Sozialverhalten haben - siehe oben). Natürlich gibt es rassespezifische Merkmale, welche durch die Zucht des Menschen gefördert werden. Diese sind v.a. äusserlicher Art - Grösse, Fell etc. -, was sich auch auf den Pflegeaufwand auswirkt. Die charakterlichen Unterschiede jedoch sind weit weniger auffällig und beschränken sich durchaus nicht auf eine spezifische Rasse. So gibt es aggressivere Hunde unter den kleinen wie auch unter den grösseren Rassen jeder Haarlänge und Farbe, und dasselbe gilt auch für ruhige, freundliche, gesunde, kranke und überzüchtete Hunde (dass viele Kleinhunde überzüchtet sind, ist allgemein bekannt. Dass aber auch viele Schäfer und Golden Retriever, um nur zwei Beispiele zu nennen, wegen Überzüchtung grosse Gesundheits- und Charakterprobleme aufweisen*, wollen viele nicht wahrhaben!).
Mir geht es an dieser Stelle vielmehr darum, allen Hundefreunden einen neuen Ansatz vorzuschlagen: Weshalb hören wir nicht einfach auf, uns zu überlegen, was für uns ein "richtiger" Hund ist, und fragen uns statt dessen, welches denn der richtige Hund für den jeweiligen Job ist? Ich stimme mit jedem überein, der findet, dass ein Chihuahua nicht zum Schutzdienst bei der Polizei geeignet ist - er mag zwar alle Übungen perfekt beherrschen, und er mag sogar den Angriff auf einen Menschen üben - sofern sich ein Piqueur finden lässt, der bereit ist, auf allen Vieren zu arbeiten, denn anders wird sich der Winzling kaum in seinen Ärmel verbeissen können - doch aller Anstrengungen zum Trotz wird er im Ernstfall kaum Schutz bieten können. Genauso werden mir sicher viele zustimmen, wenn ich sage, dass ein grosser, temperamentvollen Junghund, so gutmütig er auch sein mag, idealerweise nicht in die Hände einer älteren, bereits etwas zerbrechlichen Dame gehört. Ein Single mit wenig Zeit für die Pflege eines Hundes wäre wahrscheinlich mit einem Afghanen völlig überfordert, und eine Familie mit einem bescheidenen Budget eindeutig besser bedient mit einem Mittelpudel oder Shih Tsu als mit einer Deutschen Dogge oder einem Irish Wolfhound.


...und verschiedene Umgebungen verschiedene Hunde!

Bei meiner Tätigkeit als Tierpsychologische Beraterin werde ich ab und zu gefragt: "Welche Rasse eignet sich für mich?" Um diese Frage zu beantworten, versuche ich, mir ein genaues Bild der zukünftigen Umgebung des Hundes zu machen. Ich frage die angehenden Hundehalter, wieviel Zeit sie täglich in die Pflege/Fütterung/Spaziergänge investieren können (und wollen!), wieviel Geld/Platz sie zur Verfügung haben, usw. Vor allem aber frage ich sie eines: Welche Aufgabe hat der Hund zu erfüllen? Wenn seine Aufgabe im Schafe hüten bestehen soll, empfehle ich natürlich einen Schäferhund, wenn aber sein "Beruf" der eines Familienhundes zu kleinen Kindern ist, bringt ein kleinerer Hund oftmals die besseren Voraussetzungen mit sich: kleinere Verletzungsgefahr, die Kinder können ihn ebenfalls an der Leine halten, man muss beim Kinderwagenstossen keine Angst haben, dass der Hund an der Leine plötzlich mitsamt Kinderwagen und Elternteil losrast, kleinere Futterkosten, häufig auch grössere Lebensdauer usw. - alles gute Gründe, um für eine solche Familie keinen Rottweiler oder Deutschen Schäfer anzuschaffen. Und doch erlebe ich es - leider! - immer wieder, dass sich gerade solche Familien einen grossen, halt eben einen "richtigen" Hund zutun - übrigens vielfach auf Drängen des Familienvaters, der sich schon immer einen "richtigen" Hund gewünscht hat. Ein Rottweiler ist ohne jeden Zweifel ein richtiger Hund, aber eben nicht der richtige Hund für diese Aufgabe!
Ich möchte hier keinesfalls die Männer verdammen, und natürlich kann ich auch nachvollziehen, dass es ganz ein anderes Gefühl ist, im Geschäft bei der Kaffeepause zu sitzen - um hier einmal ein Klischee heranzuziehen - und seinen Mitarbeitern vom "halben Baumstamm" zu berichten, den der grosse Deutsche Schäfer am letzten Samstag vom Spaziergang heimgeschleppt hat, als wenn man vom kleinen orangen Bällchen erzählen muss, welches der Pudel kürzlich stundenlang apportierte - ersteres macht Eindruck, zweiteres aber bringt einem höchstens ein müdes Lächeln und ein paar faule Sprüche ein (denkt man). Doch trotz all dem dürfen wir einfach nicht vergessen, dass ein Hund kein Statussymbol ist (für solche Zwecke haben wir ja immer noch das Auto und den Computer...), sondern ein Lebewesen mit einem Anspruch auf ein artgerechtes, erfülltes Leben.


Der eine will ihn - der andere muss ihn pflegen...

Die Geschichte vom Familienvater und dem "richtigen" Hund geht in den meisten Fällen in etwa gleich weiter. Obwohl man in der heutigen Zeit immer wieder auch Familienväter findet, welche zu Hause bleiben und so Zeit für Kinder und den gewünschten Hund hätten, bilden sie doch noch die Ausnahme; in der Regel bleibt die Mutter mit den Kindern und dem viel zu grossen Hund zurück. Sie sieht sich nun neben den täglichen Arbeiten mit der Aufgabe konfrontiert, diesem Hund nicht nur genügend Auslauf zu verschaffen, sondern auch noch seinen übrigen Bedürfnissen gerecht zu werden. Schlimmer noch: Sie sieht sich gezwungen, viele seiner natürlichen Triebe einzudämmen, wie z.B. seinen Spiel- und Raufdrang, solange er noch ein stürmischer Junghund ist, denn allein schon durch seine Grösse könnte er die Kinder verletzen, auch wenn es sich um den gutmütigsten Hund der Welt handeln mag. Ebenso wird sie den Schutztrieb stark einschränken müssen - und dabei ist doch genau dieser Trieb normalerweise sehr erwünscht bei Rassen wie dem Schäfer oder dem Rottweiler und wird daher auch züchterisch gefördert! Immer wieder kommt es zu Unfällen, weil ein Kind sich von der Familie entfernen möchte und der Hund es davon abhalten will, oder weil sich jemand den Kindern nähern möchte und der Hund dies nicht zulässt. Sein Instinkt treibt ihn dazu, die Kinder zu beschützen oder zurückzuholen - und dies nötigenfalls mit dem einzigen Mittel, welches ihm zur Verfügung steht, nämlich seinen Zähnen. Natürlich kann es auch bei einem Cocker Spaniel, Yorkshire Terrier oder Windspiel zu solchen Unfällen kommen, aber in der Regel fallen diese weniger massiv aus als bei einem Schäfer, Dobermann oder bei einer Deutschen Dogge. Und wenn die Kinder bereits etwas älter sind und gerne selber mit dem Hund spazieren gehen möchten, sind sie eher in der Lage, einen leichteren Hund zu halten. Wenn 30 kg (und dabei sind wir noch an der unteren Gewichtsgrenze der grösseren Rassen) sich in die Leine legen und über die Strasse wollen, hat ein Kind entweder die Wahl, die Leine loszulassen, oder - was häufiger vorkommt - mitzufliegen - auch hier ist es schon mehrfach zu schweren Verletzungen gekommen.


Jeder Hund ist richtig - am richtigen "Arbeitsplatz"!

Was ich mit all diesen Beispielen illustrieren möchte, ist folgendes: Für beinahe jede Umgebung gibt es den richtigen Hund, nämlich den Hund, der von der Grösse, Ausdauer, Nahrungsbedarf, Fellpflege und nicht zuletzt vom Aussehen her die richtigen Voraussetzungen mit sich bringt, und genau diesen Hund sollte man wählen. Oder andersherum betrachtet: Wenn wir das nächste Mal einen grossen Mann beim Spaziergang treffen und er hat einen kleinen Pudel an seiner Seite, sollten wir uns vielleicht zuerst einmal überlegen, dass ein Pudel nahezu perfekt in einen Familienhaushalt mit Kindern passt, welche gerne etwas mit ihrem Hund anstellen und ihm auch gerne etwas beibringen. Dass er kaum haart, dürfte noch ein zusätzlicher Pluspunkt für die Hausfrau/den Hausmann sein und ideal für Personen, welche Tendenzen zu einer Allergieentwicklung haben. Und wenn der Mann in der Familie keine Komplexe hat, einen solchen Hund Gassi zu führen - umso besser! Denn jeder Hund - ob gross oder klein, dick oder dünn, wuschelig oder glatthaarig, temperamentvoll oder ruhig - hat seine Berechtigung, sofern er den richtigen Job zugeteilt bekommen hat...

Renata Iellamo
Tierpsychologische Beraterin I.E.T.
Geroldswil




* HD, unkontrollierbare Aggression u.a.



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